Italien: Warum hat Angelika H. einen tödlichen Autounfall verursacht? (2024)

Wie kam es, dass die 31 Jahre alte Angelika H. aus Deggendorf in Niederbayern an einem sonnigen Nachmittag in dem norditalienischen Städtchen Santo Stefano di Cadore in eine Gruppe von Fußgängern fuhr? Bei dem rätselhaften Unfall in der Provinz Belluno starben am vergangenen Donnerstag der kaum zwei Jahre alte Junge Mattia A. in seinem Kinderwagen, dessen 48 Jahre alter Vater Marco A. und Mattias 65 Jahre alte Großmutter Maria Grazia Z. Mattias 42 Jahre alte Mutter Elena P. erlitt schwere, aber nicht lebensbedrohliche Verletzungen und liegt im Krankenhaus. Der 67 Jahre alte Großvater Lucio P. blieb bei dem Unfall unverletzt, erlitt aber einen Herzanfall und musste ebenfalls in die Klinik gebracht werden

Nach Angaben des Großvaters war die Familie, die nahe Venedig lebte und das schöne Wetter zu einem Ausflug in die Dolomiten genutzt hatte, im Gänsemarsch auf dem schmalen Bürgersteig unterwegs. Er und seine Tochter überlebten, weil sie das Ende der fünfköpfigen Gruppe bildeten. Lucio P. sagte den Carabinieri, er habe nur ein zischendes Geräusch wie von einer Rakete vernommen, ehe das Auto seine vor ihm gehende Familie erfasst habe. Der Aufprall des schwarzen Audi A3 auf die Fußgänger war so heftig, dass die leblosen Körper des Vaters und der Großmutter von Mattia A. bis zu 30 Meter von der Unfallstelle entfernt auf dem Asphalt lagen. Das lebensgefährlich verletzte Kleinkind starb im Rettungshubschrauber auf dem Weg ins Krankenhaus von Belluno. Das von Angelika H. gesteuerte Fahrzeug kam zum Stehen, nachdem es gegen einen Lichtmast geprallt war. Augenzeugen berichteten, die Fahrerin habe desorientiert gewirkt, als sie aus ihrem schwer beschädigten Auto stieg. Den Carabinieri sagte sie nach italienischen Medienberichten lediglich, sie sei „arbeitslos und in Italien unterwegs“.

In dem Auto der Unfallfahrerin fanden sich eine Matratze, schmutzige Kleidungsstücke, benutztes Besteck und Essensreste, was die Vermutung nahelegt, dass die Frau in dem Auto zuletzt auch „gewohnt“ hatte. Angelika H. wurde an Ort und Stelle von den Carabinieri wegen des Verdachts des mehrfachen Totschlags im Straßenverkehr in Gewahrsam genommen und in ein Frauengefängnis nach Venedig gebracht. Dort äußerte sie gegenüber ihrem Pflichtverteidiger Giuseppe Triolo und dem vom deutschen Konsulat in Venedig bestellten Übersetzer auf Deutsch die Worte: „Ich bin in einem Abgrund.“ An den Unfallhergang hat sie nach Angaben ihres Anwalts keine Erinnerung. „Sie weiß nichts von dem, was passiert ist. Sie ist erschüttert und in ihrer eigenen Welt gefangen“, zitierten italienische Medien den Anwalt. Ein Gespräch mit einem vom Gericht bestellten Psychiater habe sie abgelehnt, sagte ihr Pflichtverteidiger. Seine Mandantin sei abgemagert und befinde sich in einem beklagenswerten körperlichen und seelischen Zustand: „Angelika tut nichts außer weinen und weinen.“

Hasskampagne gegen Pflichtverteidiger

Weil sich der Pflichtverteidiger der Unfallfahrerin einer Hasskampagne in den sozialen Medien ausgesetzt sah – „Steckt ihn gleich mit in den Knast!“ oder „Hast Du kein Gewissen?“ waren nach Medienberichten noch harmlosere Beschimpfungen –, sahen sich der Gerichtspräsident und die Anwaltskammer von Belluno am Montag zu Solidaritätsadressen mit Triolo veranlasst. Triolo wollte bei einer Anhörung am Montag die Entlassung seiner Mandantin aus der Untersuchungshaft erreichen. Die Staatsanwaltschaft forderte den Verbleib in Haft, weil die Frau offen­bar über keinen festen Wohnsitz verfüge und Fluchtgefahr bestehe. Die Haftprüfungsrichterin entschied, dass die Frau weiter in Untersuchungshaft bleibt.

Nach deutschen und italienischen Medienberichten soll Angelika H. bereits im Oktober das Haus der offenbar rumäniendeutschen Familie in Deggendorf verlassen haben und seither ziellos umhergereist sein, zunächst in Österreich, seit etwa Mai in Italien. Sie soll, nach Studienaufenthalten in Salzburg und Neuseeland, als Künstlerin und Webdesignerin in München, Grafenau und Passau tätig gewesen sein. Aus Einträgen in sozialen Medien bis Ende Februar dieses Jahres soll sich das Bild einer zunehmend verwirrten und sich verfolgt wähnenden Frau ergeben haben.

Im Mai kam es nach Medienberichten aus Südtirol in einem Einkaufszentrum in Bozen zu einem Zwischenfall. Weil es bei den Verhandlungen von Angelika H. zum Kauf eines Handys zu einem heftigen Streit mit dem Personal der Elektronikkette „Media World“ kam, wurde die Polizei gerufen. Im Rucksack von Angelika H. fanden die Beamten einen Hammer. Weil die Frau aus Deutschland, bei der keine Vorstrafen festgestellt wurden, keinen triftigen Grund dafür nennen konnte, warum sie einen Hammer in einem Einkaufszentrum mit sich führte, wurde sie angezeigt. Nach Augenzeugenberichten soll es auch unmittelbar vor dem tragischen Unfall in Santo Stefano di Cadore zu einem heftigen Streit zwischen Angelika H. und einer Frau in dem Städtchen gekommen sein.

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Die Auswertung der Videoaufnahmen einer Überwachungskamera in einem Geschäft und eine erste Untersuchung des Unfallorts legen nahe, dass die Unfallfahrerin mit einer Geschwindigkeit von gut 70 Kilometern pro Stunde – und damit deutlich zu schnell – in der Ortsdurchfahrt unterwegs war und ungebremst auf den Bürgersteig fuhr. Unklar ist, ob Angelika H. durch die Benutzung ihres Handys abgelenkt war und deshalb die Kontrolle über ihr Fahrzeug verlor oder ob sie womöglich, aus ungerichteter Wut, gezielt auf die Gruppe von Fußgängern auf dem Bürgersteig zusteuerte. Eine Blutprobe ergab, dass Angelika H. zum Zeitpunkt des Unfalls nicht unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stand. Die Auswertung der Daten ihres beschlagnahmten Handys war am Montag noch nicht abgeschlossen. Auch die Untersuchung des Unfallfahrzeugs auf mögliche technische Mängel dauert noch an. Die Verursachung eines Verkehrsunfalls mit Todesfolge wegen überhöhter Geschwindigkeit kann mit fünf bis zehn Jahren Gefängnis bestraft werden, wobei die Strafe bei mehreren Todesopfern entsprechend kumuliert wird.

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