Im Pharmasektor haben Anleger nur Augen für ein Thema: die Fett-weg-Spritzen (2024)

Anleger versprechen sich von den neuen Therapien zur Behandlung von Fettleibigkeit rekordhohe Umsätze. Wer wie Roche und Novartis vor allem Krebsmittel für eher kleine Patientengruppen vermarktet, hat an der Börse hingegen das Nachsehen.

Dominik Feldges

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Es hört sich unglaublich an, doch die beiden Pharmakonzerne Eli Lilly und Novo Nordisk haben ihren Wert innerhalb von weniger als drei Jahren mehr als verdreifacht. Ihr kombinierter Unternehmenswert – die Kennziffer setzt sich aus der Marktkapitalisierung zuzüglich der Nettoverschuldung zusammen – betrug auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie im Februar 2021 rund 360 Milliarden Dollar. In der Zwischenzeit ist daraus eine Billion geworden.

Eli Lilly gewinnt in einem Jahr drei Viertel an Wert

Nach einer Erklärung für diesen rasanten Aufstieg muss man nicht lange suchen. Die beiden Unternehmen verdanken ihn ihrer führenden Stellung im Geschäft mit neuartigen Therapien zur Behandlung von Fettleibigkeit.

Die Aktien von Eli Lilly verteuerten sich allein im vergangenen Jahr um drei Viertel. Damit hat es der amerikanische Konzern geschafft, als erster Medikamentenhersteller auf eine Marktkapitalisierung von über 500 Milliarden Dollar zu kommen. Für den dänischen Konkurrenten Novo Nordisk ging es 2023 um 50 Prozent nach oben.

Die übrigen Pharmakonzerne waren in letzter Zeit nicht annähernd so erfolgreich. Enttäuscht hat besonders Roche: Der Schweizer Pharmahersteller ist gemessen am Unternehmenswert auf Rang sechs zurückgefallen. Anfang 2021, als das Unternehmen vor allem wegen seiner Tests zum Nachweis von Sars-CoV-2 stark durch die Pandemie begünstigt wurde, reichte es noch für den zweiten Platz. Novartis rutschte im selben Zeitraum vom fünften auf den neunten Rang ab.

Eli Lilly und Novo Nordisk profitieren von einer Entwicklung, die Analytiker des Wertschriftenhauses Stifel als «Go big or go home» (komme gross heraus oder gehe nach Hause) umschreiben. Anleger scheinen dabei vor allem die Erfolge von Medikamentenherstellern zu würdigen, die besonders umsatzträchtige Produkte hervorbringen.

Im Fall der Abnehmspritze Wegovy, die von Novo Nordisk stammt und mit demselben Wirkstoff schon länger auch zur Behandlung von Diabetes eingesetzt wird (unter dem Markennamen Ozempic), erwarten Marktbeobachter einen jährlichen Spitzenumsatz von 35 Milliarden Dollar. Dem Konkurrenzprodukt Zepbound von Eli Lilly, das als Mounjaro ebenfalls auch gegen Diabetes erhältlich ist, trauen sie auf mittlere Sicht sogar 50 Milliarden Dollar zu. Bestätigen sich die Annahmen, würden die Anbieter in beiden Fällen Absatzrekorde im Geschäft mit Pharmaprodukten brechen.

Merck & Co. profitiert von Keytruda

Ebenfalls deutlich, wenn auch nicht ganz so eindrucksvoll an Wert zugelegt hat der amerikanische Medikamentenhersteller Merck & Co. Sein Unternehmenswert ist in den vergangenen knapp drei Jahren um 80 Milliarden Dollar gestiegen. Er profitierte vorab vom Absatzerfolg seines breit anwendbaren Krebsmittels Keytruda. Im laufenden Jahr dürfte es laut Schätzungen der Marktforscher von Evaluate Pharma Merck & Co. als meistverkauftes Medikament der Welt rund 27 Milliarden Dollar einbringen.

Roche und Novartis haben es im Gegensatz dazu noch nie geschafft, selbst einen Umsatz von 10 Milliarden Dollar mit einem einzelnen Produkt zu übertreffen. Ein solcher Erfolg zeichnet sich auch künftig nicht ab. Bei Roche verspricht das Medikament Ocrevus, das gegen multiple Sklerose verabreicht wird, die höchsten Einnahmen. Doch Analysten rechnen mit maximal 8 Milliarden Dollar pro Jahr. Novartis dürfte es mit dem Spitzenprodukt Cosentyx zur Behandlung unter anderem von Schuppenflechte auf maximal 7 Milliarden Dollar bringen.

Breite Aufstellung von Roche wird nicht honoriert

Die Genussscheine von Roche verloren im vergangenen Jahr 16 Prozent an Wert. Das Unternehmen bezahlte damit den Preis dafür, dass ihm Anleger weiterhin nicht zutrauen, in den kommenden Jahren ein starkes Wachstum zu erzielen.

Laut den Experten von Evaluate Pharma besitzt Roche branchenweit mit 17 Medikamenten das breiteste Portfolio von Produkten, deren Umsatz mindestens eine Milliarde Dollar beträgt. Nach ihrer Erwartung dürfte das Unternehmen im laufenden Jahr auch von allen Anbietern rezeptpflichtiger Arzneimittel den höchsten Konzernerlös erwirtschaften, mit knappem Vorsprung auf die amerikanischen Konkurrenten J&J, Merck & Co. sowie Abbvie. Doch die breite Aufstellung scheint dem Basler Konzern zurzeit keine Lorbeeren einzutragen, im Gegenteil. Die Anleger vermissen in seinem Portfolio die ganz grossen Kassenschlager.

Beliebte Mega-Blockbuster

Die amerikanischen Konkurrenten Abbvie und Johnson & Johnson (J&J) verfügen hingegen beide über ein Medikament, von dem Marktbeobachter einen jährlichen Spitzenumsatz von 20 Milliarden Dollar erwarten. Diese Mega-Blockbuster haben ihnen ebenfalls den Weg in die Spitzengruppe der fünf wertvollsten Pharmakonzerne geebnet.

Nach Ansicht der Analytiker von Stifel zeichnet sich in der Pharmabranche ein Paradigmenwechsel ab. Vorbei seien die Zeiten, als Investoren Unternehmen bevorzugt hätten, die möglichst spezifische Behandlungen vorab gegen Krebserkrankungen entwickeln würden. Solche Therapien lassen sich zwar zu hohen Preisen vermarkten, weil sie sich an einen überschaubaren Kreis von Patienten richten. Doch beschränkt dieser Ansatz auch ihr Umsatzpotenzial. Mittlerweile, so die Branchenbeobachter des amerikanischen Wertschriftenhauses, stünden bei Anlegern diejenigen Firmen am höchsten in der Gunst, die Lösungen gegen verbreitete chronische Leiden wie Fettleibigkeit, Diabetes, die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (Raucherlunge) oder Asthma präsentierten.

Spritzen nur für Reiche?

Was die neuen Spritzen zum Abnehmen betrifft, ist allerdings weiterhin offen, wie weit Regierungen und Krankenversicherer Patienten die Kosten für deren Einnahme erstatten werden. Bei Stifel hält man etwas überspitzt fest, dass in den USA zurzeit eher vermögende Frauen aus Beverly Hills, deren Körpergewicht als beinahe normal einzustufen sei, auf das Medikament zurückgreifen würden als stark übergewichtige Arme aus Staaten wie Mississippi oder Alabama. Die Patientinnen aus Kalifornien und anderen reichen Küstenregionen könnten die Behandlung aus der eigenen Tasche berappen.

Laut Berechnungen von Analytikern der Investmentbank Goldman Sachs ist der Geldregen, den sich Investoren aus der Vermarktung der neuen Therapie gegen Fettleibigkeit versprechen, in der Börsenbewertung von Eli Lilly weitgehend berücksichtigt. Sie verweisen zudem auf das Risiko, dass Versicherer in den Preisverhandlungen sich eher nach den Ansätzen in Europa als nach dem gegenwärtigen amerikanischen Listenpreis richten könnten. Novo Nordisk verlangt für die Abnehmspritze Wegovy in den USA rund 1000 Dollar pro Monat. In Europa kostet sie laut Goldman Sachs 190 bis 330 Dollar.

«Lächerlich billige» Aktien

Für die Marktbeobachter von Baader Europe ist der Zeitpunkt gekommen, um Positionen in den Aktien bisher verschmähter europäischer Medikamentenhersteller aufzubauen. Angesichts der Tatsache, dass das branchenweite Kurs-Gewinn-Verhältnis für 2024 zurzeit nur bei 16 liege, seien diese «lächerlich billig» zu haben.

Auf der Empfehlungsliste des Wertschriftenhauses figurieren neben Roche auch Sanofi und Bayer. Die Valoren des französischen sowie des deutschen Pharmakonzerns gerieten im vergangenen Jahr unter starken Abgabedruck. Ob sich die dabei erlittenen Kursverluste schon 2024 wettmachen lassen, ist aber nicht sicher.

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